Es geschah auf dem Höhepunkt der Pandemie, in jener Zeit, als die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit besonders durchlässig wurde.
Er erwachte mitten in der Nacht, in einem Krankenhauszimmer. Irgendetwas hatte sich verändert – vor allem die Wände. Genauer gesagt, eine Wand fehlte völlig. Anstelle der Tür sah er eine Reihe von Säulen, zwischen denen sich gläserne Trennwände spannten, und dahinter üppiges Grün wie in einem Gewächshaus. Das Licht war diffus, seltsam – fast wie am frühen Morgen.
Er erhob sich, etwas wankend, ging zum Durchgang und verließ das Zimmer. Vor ihm erstreckte sich ein langer Korridor. Männer in hellen Laborkitteln schritten schweigend daran entlang. Sie bewegten sich langsam, gleichmütig, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, als existiere er nicht. Er versuchte, einen von ihnen anzusprechen, doch dieser drehte nur leicht den Kopf und ging weiter.
Er folgte ihnen – zunächst. Doch plötzlich erkannte er, dass er sich nicht mehr im Gebäude befand. Die Umgebung hatte sich schlagartig gewandelt: Er stand auf einer weiten Granitplattform, die über einer tiefen Bergschlucht thronte. Keine Geräusche. Keine Erklärungen. Einfach nur – ein Szenenwechsel.
Das Nächste, woran er sich erinnerte: Er saß an einem Tisch. Der Tisch selbst war kaum zu sehen – er verlor sich im grellen Licht. Vor ihm: Leere. Doch irgendwo ganz nah sprach eine Stimme. Männlich. Völlig normal. Vielleicht waren es sogar zwei – der Klang variierte manchmal, doch beide schienen aus demselben Raum zu kommen.
„Du weißt doch, warum du hier bist?“, fragte die Stimme.
„Jedenfalls wundert es mich nicht“, antwortete er gereizt. „Aber was ich nicht verstehe: Wozu das ganze Theater mit Krankheit, Krankenwagen? Kann man nicht einfach so reden?“
„Das ist nicht ganz so einfach“, kam die Antwort. „Du musst es verstehen.“
„Was verstehen?“
„Dass du es willst.“
„Was – es?“
„Alles. Das ganze Bild. Die Krankheit. Die Reaktion. Die Entscheidung.“
Er spürte, wie Wut in ihm aufstieg. Alles in ihm wehrte sich gegen das Geschehen. Es fühlte sich an, als würde man ihn zu etwas drängen, das eigentlich freiwillig sein sollte.
„Ich habe nicht darum gebeten“, sagte er. „Und ich verstehe nicht, warum ihr…“
„Du hast darum gebeten. Früher.“
„Ich habe nichts zugestimmt.“
„Doch. Du hast zugestimmt – du hast es nur vergessen. Wir diskutieren nicht. Wir erinnern.“
Das Gespräch verlief sprunghaft. Die Stimmen stellten Fragen zu der Krankheit, die nebensächlich wirkten. Manchmal schienen sie sogar miteinander zu streiten, als könnten sie sich nicht auf eine Formulierung einigen. Er hörte einzelne Begriffe: „Immunantwort“, „Proteinbindung“, „sekundäre Aktivierung“. Es klang nach Virus. Oder Impfung. Oder etwas viel Größerem. Er verstand es nicht, aber er spürte: Das Thema war bedeutend.
„Wer seid ihr überhaupt?“, fragte er erschöpft.
„Wir – das bist du. Nur weiter. Wir haben es anders versucht“, fügte die Stimme fast müde hinzu. „Aber du hast nicht zugehört.“
„Weil ich ein lebendiger Mensch bin, kein Versuchskaninchen.“
Stille.
Dann, eindringlich:
„Es ist in deinem eigenen Interesse.“
„Warum?“
„Weil wir wissen, was du fühlst. Wir wissen, was du verstehst. Es ist unangenehm, aber nicht gefährlich – zumal du schon hier bist. Diese Begegnung brauchst vor allem du. Und es ist nicht unsere letzte.“
Er stand vom Tisch auf und ging. Die Stimmen, der Raum, die Granitplattform, die Berge, der Korridor und die Säulen verschwanden hinter ihm. Vor ihm erschien wieder die Tür zum Krankenzimmer. Er trat hindurch – und kehrte zurück in die Wirklichkeit. Oder kam er aus der Wirklichkeit zurück?
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